21. August 2019
Vorstandsvorsitzender, Frosta AG
Ich arbeite in keiner ganz einfachen Branche: Wir haben es in der Lebensmittelindustrie mit stark schwankenden Rohstoffpreisen, einem hohen Preisdruck und – zu Recht – sehr kritischen Verbrauchern zu tun. Trotz dieser Situation habe ich mich vor einiger Zeit entschieden, die Zügel über das von mir geführte Unternehmen aus der Hand zu geben und acht Monate ins Sabbatical zu gehen.
Wenn ich erzähle, was ich in dieser Zeit gemacht habe, muss ich etwas weiter zurückgehen, und zwar ins Jahr 2007.
Damals plante ich mit einem polnischen Freund, Äthiopien und dann Eritrea zu besuchen. Doch wegen eines Grenzkonflikts zwischen beiden Ländern waren dummerweise die Grenzen dicht, und so hingen wir zwei Wochen in Äthiopien fest. Ich wollte die Zeit nutzen und traf mich mit einheimischen Lebensmittelproduzenten. Die erzählten mir, dass die beste Entwicklungshilfe für sie wäre, wenn man verarbeitende Industrien und damit Wertschöpfung ins Land holen könnte.
Das brachte mich damals auf die Idee zu meinem Projekt „Solino Coffee“: Zusammen mit äthiopischen Partnern bauten wir 2008 eine Rösterei in Addis Abeba auf, die seitdem Fair-Trade-Kaffee nach Deutschland liefert. Ich habe dabei lediglich eine beratende Funktion, aber wegen meines Vorstandsjobs konnte ich das Projekt immer nur so nebenher mitbetreuen. Dabei blieb es auch erst mal.
Sieben Jahre später, 2015, zeichnete sich bei Frosta ab, dass Jürgen Marggraf, unser Vorstand für Produktion und Technik, in den kommenden Jahren ausscheiden würde. Gleichzeitig hatten unsere Mitarbeiter uns auf Versammlungen und in persönlichen Gesprächen mitgegeben, dass sie sich mehr Verantwortung wünschten. Da hieß es immer wieder: „Gebt uns mal die Themen, wir lösen die schon untereinander, der Vorstand muss da operativ gar nicht so tief einsteigen.“
Wir im Vorstand fanden diese Forderungen gut, denn wir haben viele wirklich gute Mitarbeiter, die sehr selbstständig sind. Daher dachte ich: Wenn wir momentan noch zu viert sind, können wir doch jetzt schon mal testen, wie das mit drei Vorständen geht. Also entschied ich, für acht Monate ins Sabbatical zu gehen. Was ich in dieser Zeit tun würde, war mir ziemlich schnell klar: Ich wollte reisen – und ich wollte Solino Coffee voranbringen.
Wir kündigten meinen Plan dann fast zwei Jahre im Voraus an, Ende 2015, sodass sich die Mitarbeiter auch darauf vorbereiten konnten und nicht überrumpelt wurden. Ich erklärte ihnen, wann und wie lange ich weg sein würde. Ganz wichtig war aus meiner Sicht auch, dass wir eine Roadmap entwickelten und den Mitarbeitern aufzeigten, was genau während und vor allem nach dieser Zeit im Unternehmen passieren soll. Damit gaben wir ihnen Zeit, sich auf diese neue Situation vorzubereiten. Denn die Mitarbeiter wussten, dass sie dann neue Aufgaben und mehr Verantwortung übernehmen würden. Für sie hieß das, dass sie sich neu organisieren und diese Verantwortung zum Teil weiterdelegieren mussten.
Man sagt ja übrigens oft, mit solchen Ankündigungen mache man sich zur „lame duck“ und werde dann gar nicht mehr ernst genommen. Doch ich habe eher viel Begeisterung über die Ankündigung wahrgenommen, denn letztlich geschah ja jetzt genau das, was sich die Mitarbeiter gewünscht hatten.
Ende 2017 bin ich dann ins Sabbatical gegangen. Der erste Tag fühlte sich sehr gut an und erinnerte mich ein bisschen an die Zeit meines Uni-Abschlusses: Da arbeitet man ja mit voller Kraft bis zur letzten Prüfung und stolpert dann meist in so eine Art Vakuum. Beim Sabbatical war es allerdings so, dass ich wusste: Heute schreibt mir erst mal keiner eine E-Mail, das heißt, ich habe endlich eine Chance, mal ganz andere Dinge machen zu können.
Also stieg ich mit meiner Familie in den Flieger nach Äthiopien. Ich glaube, wenn man die Auszeit in einer anderen Gegend der Erde verbringt, ist man auch schon mal per Definition ganz anders raus. Wir wohnten die erste Zeit in Addis Abeba und unternahmen von dort aus verschiedene Reisen ins Land und in die Region. Ich finde es immer schöner, an einem Ort länger zu bleiben und ihn intensiver kennenzulernen. Deswegen bewegte ich mich auch meistens wie die Einheimischen durchs Land, beispielsweise mit Minibussen, und bemühte mich auch, die Sprache zu erlernen.
Gleichzeitig konnte ich mich auch intensiver um Solino Coffee kümmern. Ich nutzte die Zeit, um die Qualität und das Wissen bei den Kaffeeröstern und ihren rund 120 Mitarbeitern weiter voranzubringen, damit sie Produkte herstellen und liefern können, die eins zu eins dem europäischen Standard entsprechen und die direkt in die Supermärkte geliefert werden können. Dazu haben wir beispielsweise Röster aus Europa nach Äthiopien eingeladen und Schulungen unter anderem zu Verpackungstechniken veranstaltet. Auch Banalitäten wie das absolut saubere Aufdrucken von Barcodes gehören dazu, damit die Waren an der Supermarktkasse hierzulande eingelesen werden können. Dieses Verständnis und Wissen zu vermitteln hatte ich mir als meine Aufgabe gesetzt. Denn mit solchen Qualifikationen können Menschen in Afrika das Drei- oder Vierfache vom Landesüblichen verdienen.
Neben dem guten Gefühl, etwas vor Ort bewirkt zu haben, hat mir das Sabbatical auch eine andere Erfahrung beschert. Und zwar die Erkenntnis, dass die Welt viel größer ist und dass auf ihr viel mehr geschieht, als man es sich aus einer europäischen Perspektive normalerweise bewusst macht. Man kennt das ja: Dinge, die in Afrika oder sonst wo stattfinden und die man im Fernsehen sieht, berühren einen oft gar nicht mehr, egal wie schrecklich sie sind. Doch wenn man Menschen vor Ort kennenlernt, bewegt einen das noch mal ganz anderes. Das empfinde ich als eine ganz wichtige persönliche Erfahrung für mich, sich selbst und seine eigene Arbeit nicht mehr so furchtbar wichtig zu nehmen und zu verstehen, dass es viel dringendere Dinge gibt, die die Menschheit lösen muss. Und man begreift: Wenn wir das nicht schaffen, hilft es auch nichts, wenn wir als Firma die beste Paella der Welt machen. Das ist eine Einsicht, die ich nicht missen möchte.
Nach meinen eigenen Erfahrungen kann ich auch anderen Firmen und anderen Chefs nur empfehlen, ins Sabbatical zu gehen. Allerdings nur dann, wenn man es gut plant und wenn keine fundamentalen Veränderungen anstehen. Wenn man zum Beispiel vor einem Firmenkauf stünde oder große Geschäftsprozesse verändern wollte, dann wäre es meiner Meinung nach nötig, dass man Präsenz zeigt und in schwierigen Situationen den Leuten sagt: „Das klappt schon.“ Gleichzeitig sollte man seine Auszeit gut vorbereiten und langfristig ankündigen – idealerweise ein Jahr vorher. Dazu gehört auch, dass man dann kommuniziert, wie lange man wegbleibt und was danach passieren wird – bei uns war das die Umorganisation des Vorstands.
Ich kam im Mai 2018 wieder zurück in die Firma – und alles lief bestens ohne mich. Letztlich sind halt auch Chefs ersetzbar. Ich glaube, meine Abwesenheit hat die Mitarbeiter herausgefordert: Die wollten mir beweisen, dass sie’s ohne mich sogar noch besser hinkriegen. So zeigte das Sabbatical auch einen Motivationscharakter, der mir am Anfang gar nicht so bewusst gewesen war. Die ganze Sache hatte also letztlich einen ganz guten Effekt gehabt.
Diskutieren Sie mit, liebe Leserinnen und Leser! Würden Sie sich auch wünschen, dass Ihr Vorstand eine Auszeit nimmt und Sie machen lässt? Spielen Sie auch mit dem Gedanken, ein Sabbatjahr zu nehmen - oder ist das in Ihrem Unternehmen nicht möglich? Sollte es einen gesetzlichen Anspruch auf eine solche Auszeit geben? Wir freuen uns auf lebhafte Diskussionen!
Vorstandsvorsitzender, Frosta AG
Nach dem Abitur machte Felix Ahlers (Jg.1966) zunächst eine Kochlehre im „Hotel Le Bristol“ in Paris und arbeitete dann als Koch in Rom. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre in Kiel und Paris arbeitete er im Vertrieb für eine italienischen Pastamarke, absolvierte in Chicago einen Master-Studiengang und ging als Hotelmanager nach Frankfurt. Seit 2001 ist Ahlers als Vorstand Marketing und Vertrieb bei der Frosta AG, seit 2010 deren Vorstandsvorsitzender.
64 Personen stimmen zu.
Phil Beckershoff
Robert Walter
Kein Neid, sie haben sicherlich dafür hart gearbeitet und so manchen Berg versetzt.
Jedoch denke ich das das die 80% der Gesellschaft die es gerade mal schaffen 50.000,- p.a. Zu erarbeiten und noch zu versteuern, eher dazu neigen das finanzierte Eigenheim abzuzahlen um im Alter den Arsch, ansatzweise, an die Wand zu bekommen. Da wird keiner sicher starkes Interessen haben sein versteuertes Geld auf den schwarzen Kontinent zu pumpen.
Frank Förster
Cornelia Herrmann
Galina Haberstroh-Alexejewa Bearbeitet
Christine Marie Schneider Bearbeitet
[Und damit meine ich ausdrücklich nicht die Einführung des BGE, welches ich persönlich für unsinnig halte.]
Ulrich Heim
Natürlich ist es auch eine finanzielle Herausforderung aber vielmehr ist es der Wille und das Bedürfnis seinen eigenen Horizont zu erweitern und sich kritisch mit unserem privilegierten Konsum gefärbten Leben zu beschäftigen. Alle die das umtreibt und dem nachspüren wollen werden Wege finden, manchmal etwas länger & bis nach Äthiopien.
Viel Freude am Leben!
Maik Giese
Christine Marie Schneider Bearbeitet
Michael Brandt
Was wollen die Miesmacher hier mehr? Sollen erst mal ihren eigenen Hintern bewegen.
Beste Grüße von einem Ex-Bremerhavener