Artikel vom 6. August 2019 aus "DAS Investment".
"Das traditionelle Bankkonto ist weiterhin beliebteste Anlageform deutscher Privathaushalte.
Dass hier geparkte Geldsummen langsam, aber sicher abschmelzen, dürfte inzwischen bekannt sein, schätzen Gerd Kommer und Jonas Schweizer von der Honorarberatung Gerd Kommer Invest.
Weniger bekannt sei dagegen das Risiko von Bankeinlagen".
Von Jonas Schweizer und Gerd Kommer
Bankeinlagen repräsentieren den größten Teil des liquiden Vermögens deutscher Haushalte. Dass Bankeinlagen inflationsbereinigt eine negative Rendite produzieren, ist inzwischen Allgemeingut. Unter Privatanlegern hingegen weniger bekannt ist ihr Risiko. Ursachen und Ausprägungen dieses Risikos werden im vorliegenden Blog-Beitrag analysiert und beschrieben.
In zwei Disziplinen hat Deutschland ein Abonnement auf den Weltmeistertitel: Im Dressurreiten und beim Anteil von Bankguthaben am liquiden Vermögen von Privathaushalten. Im Dressurreiten hat die deutsche Nationalmannschaft seit 1966 elf von bisher 13 möglichen Weltmeistertiteln gewonnen. Beim Anteil von Bankguthaben am liquiden Vermögen dürften wir im globalen Vergleich ebenso stark dominieren. Regelmäßig bringen Medien die Schlagzeile “Deutsche sind Sparweltmeister”, also Champion im Bankguthaben anhäufen. Leider ist das – anders als die Reitsporttitel – kein Grund zur Freude – warum nicht, werden wir in diesem Blog-Beitrag beleuchten.
Tabelle 1 zeigt die Größenordnung und Struktur des liquiden Vermögens der Deutschen. Bankeinlagen, also zum Beispiel Girokonto- und Sparguthaben oder Tages- und Festgelder, machen dabei mit 40% den größten Teil aus. Kapitalbildende Lebensversicherungen, eine aus Rendite- und Risikosicht ebenfalls sehr kontraproduktive Vermögensanlage, folgen mit 31% an zweiter Stelle.
Mrd. Euro | Anteil (in %) | |
Bankeinlagen | € 2.495 | 40% |
Kapitalbildende Versicherungen | € 1.907 | 31% |
Sonstige Anlagen [*] | € 612 | 10% |
Investmentfonds | € 617 | 10% |
Aktien (Einzelwertpapiere) | € 395 | 6% |
Anleihen (Einzelwertpapiere) | € 151 | 2% |
GESAMT | € 6.177 | 100% |
► Quelle: DZ Bank. ► [*] Hierzu gehören Ansprüche an betriebliche Altersvorsorgeeinrichtungen sowie Zertifikate und andere Wertpapiere, die keine Aktien oder Anleihen sind. ► Nicht in dieser Tabelle enthalten sind illiquide Vermögensanlagen wie Direktinvestments in Immobilien, nicht-börsennotierte Unternehmensbeteiligungen und Ansprüche an die gesetzliche Rentenversicherung oder äquivalente Versorgungswerke. ► Rechnet man “Investmentfonds” hälftig den Asset-Klassen Aktien und Anleihen zu, investieren die Deutschen sechsmal so viel in renditearme und risikoreiche Anlagen (Bankeinlagen und Lebensversicherungen) wie in die ertragreichste aller Asset-Klassen: Aktien.
Für rationale Haushalte sind Bankguthaben keine sinnvollen Anlagen. Von dieser Feststellung gibt es nur die folgenden beiden Ausnahmen:
Warum sind Bankguthaben – soweit sie nicht in die beiden genannten Ausnahmen fallen – nahezu immer abzulehnen? Die wesentlichen Gründe dafür kann man wie folgt zusammenfassen:
Es stellt sich die Frage, warum so viele Privatanleger das beträchtliche Gegenpartei-Risiko eines Bankguthabens unterschätzen oder jedenfalls akzeptieren. Uns fallen sechs Gründe ein.
Grund 1 und Grund 2 sind recht banal: Mangelnde Kenntnis der Finanzgeschichte und urmenschliche Bequemlichkeit. Die meisten Privatanleger haben keine finanzhistorischen Bücher gelesen wie etwa das von Niall Ferguson oder das von Reinhart/Rogoff (siehe Literaturliste weiter unten). Beide, besonders Reinhart/Rogoff, berichten von einer schier endlosen Serie von Bankenkrisen in den letzten Jahrhunderten, inklusive und vor allem der letzten 100 Jahre. Und ja, Bankguthaben sind konkurrenzlos bequeme Investments. Sie erfordern kein Nachdenken und ihre Alternativen (z. B. Geldmarktfonds oder kurzfristige Staatsanleihen) sind etwas weniger bequem und erscheinen vielen Menschen “irgendwie kompliziert”. Bei genauerer Betrachtung sind sie es aber nicht.
Grund 3: Die Mehrzahl aller Privatanleger ist sich nicht im Klaren über den fundamentalen, strukturellen Vorteil eines Wertpapier- oder Fondsdepots gegenüber einem Bankguthaben. Bei einem Depot agiert die Bank lediglich als Verwahrstelle. Geht die Verwahrstelle pleite, spielt das für den Eigentümer der Papiere im Depot vermögensmäßig keine Rolle, wie es auch keine Rolle für die Eigentümer eines Bankschließfaches spielt, wenn die Schließfachbank in den Konkurs gerät. Der Inhalt des Schließfaches und der Inhalt eines Depots fallen nicht in die Konkursmasse der Bank. Grundsätzlich anders verhält sich das bei einer Einlage wie einem Bankguthaben: Sie ist im Pleitefall Teil der Konkursmasse und wenn die nicht groß genug ist, haben manche oder alle Einleger (die Gläubiger) ganz einfach Pech.
Grund 4: In der Denke eines normalen Privatanlegers erscheint ein Bankguthaben als “irgendwie” sicher oder sogar als das sicherste Investment, weil der Saldo auf dem Kontoauszug beim Bankguthaben – anders als z. B. bei einem Geldmarktfonds oder einer kurzfristigen Anleihe – nie sinkt und nicht schwankt. Man weiß mit einer scheinbaren 100%-Sicherheit heute, was morgen auf dem Kontoauszug stehen wird. [2] Leider führt diese naive Risikodenke bei sehr selten auftretenden, aber dann besonders gravierenden “Schwarzer-Schwan-Risiken”, wie sie Bankpleiten darstellen, in die kognitive Sackgasse. Black-Swan Risk (manchmal auch Event Risk oder Tail Risk genannt) ist kaum quantifizierbar und lässt sich nicht zuverlässig prognostizieren (Taleb 2007). Aus dieser weitgehenden Nichtberechenbarkeit abzuleiten, dass man sie ignorieren könne, wäre fatal. Ein Risiko verschwindet nicht deswegen, weil man es nicht regelmäßig beobachten oder nur schwer messen kann. Cash oberhalb der staatlichen Einlagensicherung auf ein Bankkonto einzuzahlen ist, wie in einer stark erdbebengefährdeten Region ein Eigenheim für seine Familie zu bauen, das – um Geld zu sparen – keine Erdbebensicherheitsstandards erfüllt und dieses haarsträubende Verhalten damit zu begründen, dass das letzte Erdbeben ja schon 40 Jahre zurückliege.
Grund 5: Bei vielen Privatanlegern hat das Festhalten an Bankguthaben als langfristige Vermögensanlage auch oberhalb der staatlichen Einlagensicherung in der “heutigen Zeit der Nullzinsen” wohl mit dem Denkfehler zu tun, dass die Alternative zu Bankguthaben – wertpapierbasierte High-Quality-Geldmarktanlagen (z. B. kurzfristige Staatsanleihen von AAA- oder A+ Staaten wie Deutschland, Österreich, die Schweiz bzw. entsprechende Geldmarktfonds) – deswegen unattraktiv seien, weil sie (derzeit) leicht negative nominale Renditen produzieren. Ein Denkfehler ist das deswegen, weil er, erstens, falsch unterstellt, dass “Nullzinsen” neu und ungewöhnlich seien, also erst seit 2016 bestünden und zweitens, dass man von einer “risikolosen” Anlage eine nennenswerte reale Rendite erwarten könne. In unserem Blog-Beitrag “Nullzinsen und Anlagenotstand – real oder nur konstruiert?” von April 2018 belegen wir, dass “Nullzinsen” für die risikoärmsten (sichersten) aller Anlagen in den letzten rund 120 Jahren weltweit überhaupt nicht ungewöhnlich waren, wenn man Inflation, Steuern und Kosten berücksichtigt. (Wer diese drei Faktoren bei der Evaluierung von Rendite ignoriert, dem ist ohnehin nicht zu helfen.) Wenn “Nullzinsen” oder leicht negative Realzinsen historisch mehr oder weniger normal waren und sachlogisch plausibel sind, dann gibt es natürlich keinen Grund – außer Unwissen – sie unter Inkaufnahme substanzieller Counterparty-Risiken bei einer Bankeinlage zu vermeiden.
Grund 6: In den letzten Jahren hat sich bei manchen Privatanlegern die Ansicht verbreitet, Staatsanleihen seien grundsätzlich nicht sicher, weil man Staaten einfach nie trauen könne, weil sie überschuldet seien und/oder weil unser “Papiergeldsystem” manipulierbar sei. Abgesehen von der trivialen Binsenweisheit, dass auf diesem Planeten keine Anlageform existiert, die vollkommen risikofrei ist, sind kurzfristige Staatsanleihen der obersten Rating-Stufen ohne Währungsrisiko kurz- und mittelfristig die wertstabilsten und sichersten Anlagen – stabiler und sicherer als Unternehmensanleihen, Aktien, Immobilien, Gold und Bankguthaben. Dass und warum das so ist, haben wir hier und hier und hier dargelegt.
Privatanleger täten gut daran, sich bei ihren Investments in “risikofreie” Anlagen an institutionellen Großinvestoren, also den Profis, zu orientieren. Diese lassen größere Barbestände nie länger auf Bankkonten stehen, sondern investieren sie in wertpapierbasierte High-Quality-Geldmarktanlagen – entweder in stark diversifizierte kurzfristige Unternehmensanleihen innerhalb der oberen Rating-Stufen oder in kurzfristige Staatsanleihen hoher Bonität und natürlich ohne Wechselkursrisiko. Wenn solche Wertpapieranlagen zu leicht negativen Renditen führen, dann wird das rational als ein Faktum akzeptiert, das der Markt häufig vorgibt – in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in der Zukunft. Punkt. Es geht hier um return of the money, nicht um return on the money.
In diesem Zusammenhang kam ab etwa 2016 eine etwas kuriose Freizeitbeschäftigung von Privatanlegern auf: “Tagesgeld-Hopping”. 2016 sanken die nominalen Renditen wertpapierbasierter Geldmarktanlagen hoher Qualität in Deutschland erstmalig etwas unter null. Soweit ein Tagesgeld-Hopper sich innerhalb der gesetzlichen Bankeinlagensicherung von bonitätsmäßig soliden Staaten bewegt (viele süd- und osteuropäische EU-Staaten bzw. Banken gehören nicht in diese Kategorie) und soweit er genug Zeit und Motivation hat, im Jahr mehrere Kontoeröffnungen und Schließungen durchzuführen, ist dagegen risikomäßig nichts einzuwenden. Für alle anderen und für größere Vermögen wird diese Vorgehensweise allerdings kaum praktikabel sein.
[1] Seit 2010 sind in Deutschland über 250 rechtlich selbstständige Banken verschwunden; der allergrößte Teil davon aufgrund mangelnder Profitabilität und nicht nachhaltiger Geschäftsmodelle. Diese Sterberate wird in den nächsten Jahren nicht sinken. Noch immer hat Deutschland fast so viele Banken wie Frankreich, Großbritannien und Italien zusammengenommen – also viel zu viele.
[2] Aus offensichtlichen Gründen lässt sich das Risiko einer Bankeinlage nicht mit den üblichen Risikokennzahlen wie Volatilität (Wertschwankungsintensität) aussagefähig messen.
Calomiris, Charles (2007): “Bank Failures in Theory and History. The Great Depression and other Contagious Events”, Working Paper 13597, http://www.nber.org/papers/w13597
Ferguson, Niall (2009): “The Ascent of Money: A Financial History of the World”; Penguin Books
Kommer, Gerd / Kerscher, Martin (2018): “Das Prinzip der Sovereign Ceiling”: http://www.gerd-kommer-invest.de/konzept-der-sovereign-ceiling/
Kommer, Gerd / Kerscher, Martin (2019): “Das Konzept der “Sachwertanlage”: Fakten und Fantasien”: http://www.gerd-kommer-invest.de/konzept-der-sachwertanlage/
Kommer, Gerd / Schweizer, Jonas (2019): “Das Konzept der “Cash-Flow-Kaskade””: http://www.gerd-kommer-invest.de/cash-flow-kaskade/
Kommer, Gerd / Weis, Alexander (2018): “Nullzinsen und Anlagenotstand – real oder nur konstruiert?”: http://www.gerd-kommer-invest.de/nullzinsen-und-anlagenotstand/
Reinhart / Rogoff (2009): “This Time is Different: Eight Centuries of Financial Folly”;Princeton University Press
Taleb, Nassim (2007): “The Black Swan. The Impact of Highly Improbable”; Penguin Books