Vier Kandidaten für wichtige politische Ämter – und vier große Fragezeichen: Annalena Baerbock, Armin Laschet, Olaf Scholz und Franziska Giffey. Sie alle stehen derzeit mehr wegen ihrer persönlichen Verfehlungen im Rampenlicht als wegen ihrer politischen Projekte oder Programme. Auch wenn nicht alle Vorwürfe eindeutig belegt sind.
Baerbock hat inzwischen wohl den am intensivsten polierten Lebenslauf der Republik. Laschet vergab als Unidozent Noten an Studenten, deren Klausuren er verschlampt hatte. Scholz soll als Hamburger Bürgermeister in der Cum-Ex-Affäre schützend sein Händchen über die Bank M. M. Warburg & Co gehalten haben. Und Franziska Giffey hat bei ihrer Doktorarbeit geschummelt und darüber nicht nur den Titel, sondern auch ihr Ministeramt verloren.
Baerbock und Laschet haben sich tölpelhaft benommen, Scholz und Giffey wohl wissentlich das Falsche getan. So richtig überzeugend wirkt keiner von ihnen mehr. Bei der Frage nach dem Charakter – ein wesentliches Kriterium für die Eignung als Führungskraft – sehen alle vier mindestens peinlich aus.
Nun gut, alle Politiker haben ein pragmatisches Verhältnis zur Wahrheit, aber kann eine Politikerin, der schon beim Verfassen des eigenen Lebenslaufs die Fantasie durchgeht, wirklich die größte Wirtschaftsnation der EU führen? Und wenn ein Mensch schon nicht zugeben kann, dass er ein paar Klausuren verbaselt hat, können wir dann von ihm erwarten, dass er seinem Volk in Krisenzeiten ungeschminkt die Wahrheit sagt? Und kann jemand, der angibt, sich selbst an millionenschwere Steuerdeals nicht genau erinnern zu können, noch ernst genommen werden mit der Aussage, künftig gut mit den Staatsfinanzen umzugehen?
Doch mal halblang mit der Entrüstung. Wer sich jetzt aufregt über "diese ekelhaften Politfiguren", macht sich ähnlich lächerlich wie die vier begossenen Pudel selbst. Denn mal ernsthaft: Geht es in anderen Bereichen unserer Gesellschaft wirklich sauberer zu? Derzeit hat so ziemlich jeder Verein seine Skandale. Die Herren der katholischen Kirche vertuschen den übelsten Missbrauch, bei der Bundeswehr singen ausgerechnet die Elitetruppen antisemitische Lieder. Und in der Wirtschaft haben wir in der jüngeren Vergangenheit den VW-Dieselskandal, die Cum-Ex-Affäre, das Wirecard-Debakel und den Zusammenbruch von Greensill erlebt.
Und das nur die Spitze des Eisbergs. Lebensläufe, die mehr von den Grandiositätsfantasien des Schreibenden zeugen als von tatsächlicher Kompetenz? Kennt man in allen Betrieben. Geschönte Ergebnisse von Projektstudien? Frisierte Bilanzen? Abenteuerliche Umsatzprognosen ohne realen Hintergrund? Und so weiter, und so weiter. In allen Bereichen gibt es Menschen, die sich ohne jede nachweisbare Erfahrung zu höchsten Ämtern berufen fühlen – und es gibt genügend Leute, die genau das mit Charisma verwechseln.
In der Wirtschaft jedoch fliegen selbst die irrsten Betrüger irgendwann auf, denn Zahlen lügen nicht. Die Finanzämter wollen ihre Cum-Ex-Gelder zurück, Wirecard-Chef Markus Braun drohen im Falle einer Verurteilung viele Jahre Haft. Sein Kompagnon Jan Marsalek wird gejagt wie ein angeschossener Hase. Und wenn die Credit Suisse mit kollabierten Hedgefunds die Hälfte ihres Eigenkapitals verzockt, geht der Börsenkurs derart in den Keller, dass die Aktionäre schon dafür sorgen, dass Köpfe rollen. Ex-Vorstandschef Martin Winterkorn muss in einem Haftungsvergleich mit seinem ehemaligen Arbeitgeber VW 11,2 Millionen Euro aus der Privatschatulle berappen, seine Haftpflichtversicherung legt noch mal 270 Millionen für die Pflichtverletzung in der Dieselaffäre drauf.
Ob das reicht, um den Schaden auszugleichen, den Volkswagen dem Gütesiegel "Made in Germany" zugefügt hat, lässt sich diskutieren, dennoch gilt in der Wirtschaft: Wer lügt oder betrügt, spürt in den meisten Fällen irgendwann die Konsequenzen. Selbst wenn der eine oder andere Youngster mit Chuzpe, der im Nachhinein sein Praktikum zur Projektverantwortung hochjazzt, damit durchkommt: Auf Dauer bleibt er nur in der so ergatterten Festanstellung, wenn er auch Leistung bringt.
Dagegen hoffen viele Politiker offenbar einfach darauf, dass die Medien bald eine andere Sau durchs Dorf treiben und sich ihre Umfragewerte bis zur nächsten Wahl wieder erholen werden. Anschließend wundern sie sich dann über Politikverdrossenheit.
Wirtschaftsbosse sind auch keine Wunderkinder, aber wenigstens schlägt der Kapitalismus bei Fehlentwicklungen irgendwann selbstreinigend zu, was man von unserer Demokratie offensichtlich nicht behaupten kann. Wenn wir nicht bald anfangen, an unsere Führungskräfte höhere ethische Ansprüche zu stellen und diese dann auch durchzusetzen, bekommen wir genau die Chefs, die wir verdienen. In der Politik ebenso wie in der Wirtschaft.
Anmerkung der Redaktion: Heiner Thorborg ist Mitglied der MeinungsMacher von manager-magazin.de. Trotzdem gibt diese Kolumne nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion des manager magazins wieder.